Ehrgeizige Mission: Ein 1.128 Kilometer Treck über das Eis, dann eine Bohrung mehr als 500 tief durch das Ross-Schelfeis in das darunterliegende Sediment – dies ist das Ziel des SWAIS2C-Projekts in der Westantarktis. Die Bohrkerne aus dem antarktischen Sediment sollen klären, wie sensibel der westantarktische Eisschild auf eine globale Erwärmung um zwei Grad reagiert – und wie stark dies den Meeresspiegel beeinflussen wird.
Der westantarktische Eisschild ist der jüngste und anfälligste Teil der gewaltige antarktischen Eismasse: Vor rund 27 Millionen war er die letzte Region des Südkontinents, die vereiste. Sein Untergrund wird durch ein großes subglazialen Vulkangebiet aufgeheizt. Und entlang der Küsten nagt das warme Tiefenwasser des umgebenden Meeres an der Unterseite der Schelfeise und Gletscherzungen. Kein Wunder daher, dass die Gletscher dort besonders schnell schrumpfen – für einen Teil des westantarktisches Eischilds könnte die Schmelze sogar schon unumkehrbar sein.
„Der Westantarktische Eisschild ist eine der Komponenten des Erdsystems, die am stärksten von der zunehmenden Erwärmung betroffen sind. Wir wissen jedoch nicht, wann und wie schnell er schmelzen und den globalen Meeresspiegel um mehrere Meter anheben wird“, erklärt Andreas Läufer von der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe (BGR).
Bohrung erst durchs Eis, dann ins Sediment
Um mehr Klarheit zu schaffen, nimmt Läufer gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam an einem Bohrprojekt an einer der Schlüsselstellen des westantarktischen Eisschilds teil. Ihr Ziel liegt am Rand des Ross-Schelfeises – des größten Schelfeises der Erde. Dieser schwimmende Eispanzer bremst den Fluss der Küstengletscher ins Meer und wirkt als wichtiger Puffer zwischen dem Meer und dem auf Land aufliegenden Eis. Entsprechend wichtig ist es, den Zustand dieses Schelfeises, aber auch seine Sensitivität gegenüber der aktuellen und zukünftigen Erwärmung zu kennen.
Das soll das Projekt SWAIS2C (Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to 2°C of warming) nun durch eine Bohrung herausfinden. Ziel ist es, im nun beginnenden antarktischen Sommer ein rund 580 Meter tiefes Loch durch das Schelfeis zu schmelzen. Unter dem Eis liegen rund 55 Meter Ozean, bevor dann das Sediment beginnt. Aus diesem wollen die Forschenden ebenfalls Bohrkerne gewinnen.
Blick zurück in ähnlich warme Zeiten
„Wir wollen in der kommenden Saison bis zu 200 Meter in das unter dem Schelfeis liegende Zielsediment eindringen“, erklärt Johann Klages vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. „Wir hoffen, dass uns diese Sedimente in Zeiträume bringen werden, in denen der westantarktische Eisschild wärmeren und CO2-reicheren Bedingungen ausgesetzt war, wie sie für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte prognostiziert sind.“
Der Bohrkern könnte Sedimentschichten zutage fördern, die aus der Zeit vor Hunderttausenden, möglicherweise sogar vor Millionen von Jahren stammen. Sie würden damit die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren umfassen, als die Erde etwa 1,5 Grad wärmer war als vor Beginn der Industrialisierung. Das Team hofft, anhand dieser Schichten feststellen zu können, ob das Schelfeis unter diesen Bedingungen stabil geblieben ist oder ob es verschwunden war.
„Damit können wir dann folgende Fragen beantworten: Wie stabil ist das westantarktische Eis unter diesen Bedingungen und können wir Kipppunkte identifizieren, ab denen der Eisschildrückzug nicht mehr aufhaltbar ist?“, sagt Denise Kulhanek von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des SWAIS-2C-Projekts.
Treck über das Schelfeis
Bis die Bohrung starten kann und das 27-köpfige „On Ice“-Team ihr Camp bezieht, sind allerdings aufwendige Vorarbeiten und ein langer Polar-Roadtrip nötig. Denn die nächstgelegene Polarstation, die neuseeländische Scott Base, liegt rund 860 Kilometer Luftlinie entfernt. Am 1. November hat eine Vorhut mit einem Konvoi aus Polarfahrzeugen die Scott-Basis verlassen, um Treibstoff, wissenschaftliche Ausrüstung, Bohrgeräte und Vorräte für die etwa achtwöchige Camp-Saison zur Bohrstelle KIS3 zu bringen.
Die Reise über das Ross-Schelfeis ist rund 1.128 Kilometer lang und dauert gut 15 Tage. Sobald der Konvoi am KIS3 angekommen sind, wird eine Landebahn auf dem Eis angelegt. Später im November werden dann dort Polarflugzeuge mit den Bohrtechnikern und Wissenschaftlern landen und das Projekt SWAIS-2C beginnt.
Quelle: LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG)